Zwischen Skepsis und Potenzial

Die Steuerfunktion befindet sich im digitalen Wandel. Während viele Unternehmensbereiche bereits automatisierte Prozesse nutzen, zögert ein Teil der Steuer-Community weiterhin beim Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Dabei liegt das Potenzial klar auf der Hand: KI kann durch automatisierte Analysen, intelligente Entscheidungslogiken und strukturierte Datenverarbeitung die Effizienz deutlich steigern – vorausgesetzt, sie wird zielgerichtet und differenziert eingesetzt.

 

  1. Warum Steuerabteilungen ideale Kandidaten für KI sind

Die Aufgaben einer modernen Steuerfunktion sind komplex und vielfältig:

  • Sicherstellung der steuerlichen Compliance (Deklaration, Fristen, Aufbewahrungspflichten)
  • Berechnung, Meldung und Zahlung von Steuern
  • Beratung bei geschäftlichen und regulatorischen Fragestellungen
  • Unterstützung bei Jahresabschlüssen, Betriebsprüfungen und Rechtsbehelfsverfahren
  • Transfer Pricing, Umsatzsteuer, Quellensteuer, Tax Reporting, Cashflow-Optimierung

All diese Tätigkeiten beruhen auf Daten – strukturiert und unstrukturiert – sowie auf klaren Regelwerken und Entscheidungslogiken. Genau hier setzt KI an.

 

  1. Die drei Säulen steuerlicher KI-Systeme

(a) Expertensysteme

Expertensysteme verarbeiten steuerliche Regeln mittels logischer Wenn-Dann-Verknüpfungen. Sie klassifizieren Geschäftsvorfälle auf Basis steuerlicher Regelwerke (z.B. UStG, EStG, AO) und erzeugen nachvollziehbare Entscheidungen – samt Audit-Trail. Die Vorteile:

  • Revisionssicher
  • Transparent (regelbasiert)
  • Schnell skalierbar
  • Integrierbar in ERP-Systeme (z.B. SAP, Navision)

Beispiel: Automatisierte Prüfung von Eingangsrechnungen nach §14 Abs.4 UStG.

(b) Maschinelles Lernen (ML)

ML-Algorithmen erkennen Muster in großen Datenmengen – etwa bei der Klassifikation von Geschäftsvorfällen, der Erkennung steuerlicher Risiken oder der Vorhersage von Verrechnungspreisabweichungen.

Beispiele:

  • Klassifizierung von Materialstämmen in „Waren“ und „Dienstleistungen“
  • Ermittlung steuerlicher Risiken bei Auslandstransaktionen
  • Prognosemodelle für effektive Steuerquoten oder Rückstellungsbedarfe

Wichtig: Diese Systeme benötigen individuell trainierte Modelle und hochwertige Daten.

(c) Generative KI (GenAI)

GenAI (z.B. ChatGPT) erzeugt neue Inhalte, analysiert komplexe Texte und beantwortet steuerliche Fragen in natürlicher Sprache – auf Basis strukturierter Wissensdatenbanken (RAG, Vektordatenbanken).

Beispiele:

  • Automatisierte Erstellung von Stellungnahmen, Einsprüchen oder Risikoberichten
  • Prüfung von Leistungsbeschreibungen in Rechnungen
  • Interaktive FAQ-Bots für Umsatzsteuer, Quellensteuer und Transfer Pricing

 

  1. Erfolgsfaktoren für KI-Projekte in der Steuerfunktion

Die Einführung von KI erfordert mehr als nur Technik. Entscheidend sind:

  • Datenqualität: KI ist nur so gut wie die zugrunde liegenden Daten. Daher: Clean-up von Stammdaten, Datenmodellierung und Normalisierung sind Pflicht.
  • Regelwerk und Fachwissen: Ohne steuerliches Fachverständnis bleibt KI wirkungslos. Die Kombination aus Technologie und steuerlicher Expertise ist der Schlüssel.
  • Systemintegration: Nur wer KI intelligent in bestehende ERP- und Workflowsysteme integriert, schöpft das volle Potenzial aus.
  • Governance & Transparenz: Entscheidungen müssen nachvollziehbar sein – besonders in einem hochregulierten Umfeld wie dem Steuerrecht.

 

  1. Konkrete Anwendung: Rechnungsprüfung mit KI

Fallbeispiel A AG

  • Problem: In einer Umsatzsteuernachschau wurden unvollständige oder falsche Eingangsrechnungen festgestellt.
  • Folge: Vorsteuer wurde versagt – mittlerer sechsstelliger Schaden.
  • Lösung: Einsatz des VAT Invoice Analyzers (Kombination aus GenAI, Expertensystemen und regelbasierten Prüflogiken)
  • Ergebnis: Automatisierte Analyse der Rechnungen, strukturierte Erkennung von Steuerpflichten, Identifikation von Mängeln nach § 14 UStG, Visualisierung in Dashboards, vollständiger Audit-Trail.

 

  1. Anwendung im Bereich Quellensteuer

Fallbeispiel: Konzern mit globalem Dienstleistungsportfolio

  • Problem: Fehlender Überblick über Quellensteuerpflichten bei internationalen Rechnungen
  • Lösung: Einsatz des WHT Invoice Analyzers – KI-gestützte Prüfung der Leistungsbeschreibungen auf Quellensteuerpflichten
  • Ergebnis: Automatisierte Klassifikation der Leistungen, Angabe des gesetzlich geschuldeten WHT-Betrags, Einbindung in ERP-Systeme

 

  1. KI ist kein Allheilmittel – aber ein kraftvolles Werkzeug

KI-Systeme sind wie Werkzeuge in einem gut ausgestatteten Werkzeugkasten. Je nach Aufgabe – Textanalyse, Regelprüfung, Prognose – braucht es das passende Instrument:

  • GPT für Textauswertung
  • Expertensysteme für Regelanalysen
  • ML für Vorhersagen
  • NLP für Dokumentenverständnis
  • RPA für automatisierte Routineprozesse

 

  1. KI als Cashflow-Treiber

Neben Prozessoptimierung kann KI auch finanzielle Vorteile generieren. Beispiel:

  • Vorsteuervergütungsverfahren bei Auslandsreisen
    KI erkennt aus Reisekostenbelegen, ob ausländische Vorsteuer erstattungsfähig ist. Die manuelle Aufbereitung entfällt. Ergebnis: automatisierte Anträge, höherer Cashflow, geringerer Aufwand.

 

  1. Fazit: KI als Schlüssel zu echter Transformation
  • KI kann die Steuerfunktion nicht nur effizienter, sondern strategisch relevanter machen.
  • Die Wertschöpfung hängt maßgeblich von der Qualität der Daten und der Klarheit der Ziele ab.
  • Wer KI in steuerlichen Kernprozessen einsetzt, schafft Freiräume für wertschöpfende Beratung und strategische Steuerplanung.

Jetzt ist der Zeitpunkt, in KI-basierte Steuertechnologie zu investieren. Nicht nur, um effizienter zu werden – sondern um der Steuerabteilung die Rolle zu geben, die ihr zusteht: Business Partner auf Augenhöhe.